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Das Paradox der Veränderung: Zeit

8. April 2025

Warum Organisationen oft auf halbem Weg in Panik geraten 

Trust the process!

Veränderung ist allgegenwärtig: Marktbedingungen verändern sich, Strategien müssen angepasst, Strukturen überdacht werden. Gleichzeitig sind Organisationen stabil, widerstandsfähig und oft erstaunlich träge. Das führt dazu, dass Veränderungsprozesse zwar gestartet werden, aber auf halbem Weg ins Stocken geraten. 

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Ein Beispiel aus der Praxis: Ein mittelständisches Unternehmen aus der Konsumgüterindustrie erkannte, dass es sein Geschäftsmodell stärker auf nachhaltige Verpackungen ausrichten musste, um den wachsenden Anforderungen von Verbraucher*innen und regulatorischen Vorgaben gerecht zu werden. Die ersten Maßnahmen wurden begeistert aufgenommen: Neue Materialien wurden getestet, nachhaltigere Lieferanten identifiziert, interne Schulungen für nachhaltige Produktentwicklung durchgeführt. 

Doch nach wenigen Monaten entstand das Gefühl, dass sich „nichts bewegt“. Die Produktionsprozesse erwiesen sich als schwieriger umstellbar als gedacht, Verbraucherreaktionen auf die ersten nachhaltigen Verpackungslösungen blieben verhalten, und auch die Kosten für neue Materialien lagen über den ersten Kalkulationen. Die Mitarbeitenden sahen keine unmittelbaren Ergebnisse, und die Führungsebene begann, an der Strategie zu zweifeln. Das Tagesgeschäft drängte sich in den Vordergrund, und erste Stimmen wurden laut, die den gesamten Change-Prozess infrage stellten. 

Dieses Muster ist typisch für Transformationsprozesse:

1. Der Anfang: Große Begeisterung, viel Energie, schnelle Aktionen. 

2. Der kritische Punkt: Nach Wochen oder Monaten scheint sich wenig zu verändern. Unsicherheit macht sich breit. Zweifel entstehen. Die Führungsebene wird ungeduldig. 

3. Die Eskalation: Aktionismus setzt ein. Prozesse werden geändert, neue Maßnahmen beschlossen, externe Berater*innen hinzugezogen – oft ohne nachvollziehbare Richtung. 

4. Das Risiko: Statt den Prozess weiterzuführen, wird er immer wieder neu gestartet. So entstehen Change-Schleifen ohne echte Veränderung. 

      Die größte Gefahr in diesem Moment? Hektische Interventionen, die das System weiter destabilisieren. Veränderung ist nicht geradlinig – doch wer dem Prozess nicht vertraut, neigt dazu, ihn immer wieder von vorne zu starten. 

      Veränderung ist nicht planbar – aber gestaltbar

      Organisationen sind keine Maschinen, die nach einem simplen Ursache-Wirkungs-Prinzip funktionieren. Sie sind soziale Systeme mit eigenen Regeln, Erwartungen und Kommunikationsmustern. Systemtheoretiker wie Stefan Kühl oder Thorsten Groth betonen immer wieder: Niemand kann Organisationen von außen verändern. Veränderung passiert nur dann, wenn das System selbst neue Muster ausprobiert und diese für sich als nützlich empfindet. 

      Das bedeutet: 

      • Change ist kein linearer Prozess, sondern verläuft in Schleifen und Iterationen. 
      • Externe Steuerung ist nur begrenzt möglich – echte Veränderung entsteht aus dem Inneren der Organisation heraus. 
      • Führungskräfte und Change-Begleiter*innen können den Prozess unterstützen, aber nicht einfach „verordnen“. 

      Doch genau diese systemische Logik widerspricht den gängigen Erwartungen in Unternehmen. Dort herrscht oft die Annahme: „Wir brauchen eine klare Roadmap, ein exaktes Zielbild und schnelle Ergebnisse.“ 

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      Warum Unsicherheit zu Aktionismus führt – und wie wir damit umgehen können 

      Eines der größten Hindernisse in Veränderungsprozessen ist der Glaube, sofort alle Antworten haben zu müssen. Gerade bei tiefgreifenden Transformationen – etwa beim Übergang zu einer regenerativen Wirtschaftsweise oder zu mehr Agilität – gibt es zwangsläufig Zielkonflikte, Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Wer glaubt, dass erst alle Probleme gelöst sein müssen, bevor man startet, riskiert Stillstand. 

      Hier zeigt sich, was systemische Berater*innen als Unsicherheits- und Paradoxiekompetenz bezeichnen: 

      • Die Fähigkeit, in offenen Fragen zu bleiben, anstatt vorschnelle Antworten zu erzwingen. 
      • Die Bereitschaft, mit Zielkonflikten zu arbeiten, anstatt sie sofort aufzulösen. 
      • Das Verständnis, dass das Unbekannte nicht bedrohlich ist, sondern Raum für neue Muster schafft. 

      Doch genau diese Haltung fällt vielen Organisationen schwer. Die dominante Logik ist oft kurzfristig: Quartalszahlen, Jahresziele, schnelle Erfolge. Langfristige Transformationen widersprechen diesem Rhythmus. 

      Ein weiteres Beispiel: In der Konsumgüterindustrie setzen immer mehr Unternehmen auf Kreislaufwirtschaft. Doch wer ernsthaft auf Cradle-to-Cradle-Design oder ressourcenschonende Lieferketten umstellen will, merkt schnell: Es gibt nicht „die eine Lösung“, die sich von heute auf morgen umsetzen lässt. Stattdessen müssen zahlreiche Fragen über längere Zeiträume bearbeitet werden: 

      • Wie lassen sich nachhaltige Verpackungen wirtschaftlich tragfähig gestalten? 
      • Wie können neue Materialien getestet werden, ohne bestehende Prozesse zu gefährden? 
      • Welche externen Partner müssen sich ebenfalls weiterentwickeln? 

      Es geht nicht darum, sofort perfekte Antworten zu haben. Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen, damit neue Antworten entstehen können. 

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      Wie lässt sich Vertrauen in den Change-Prozess stärken?

      1. Vertrauen in den Prozess entwickeln
      Change funktioniert nicht nach der Logik klassischer Projektsteuerung. Statt schnelle Erfolge zu erwarten, sollten Führungskräfte lernen, Iterationen als Fortschritt zu begreifen. Hier helfen Prinzipien aus der Agilität: Veränderungen in kurzen Zyklen testen, Feedback einholen, anpassen.

      2. Unsicherheit aushalten lernen – als Führungskraft und Change-Begleiter
      Viele Führungskräfte empfinden Unsicherheit als Bedrohung. Doch Unsicherheit ist kein Zeichen von Kontrollverlust, sondern ein natürlicher Bestandteil von Veränderung. Hier spricht die systemische Theorie von „Paradoxiekompetenz“: der Fähigkeit, mit widersprüchlichen Anforderungen umzugehen, ohne vorschnelle Lösungen zu erzwingen.

      3. Durch Zuversicht Sicherheit in Unsicherheit geben
      Unsicherheit kann lähmen – oder Energie freisetzen. Führung ist gefragt, um Zuversicht zu vermitteln und den Fokus auf das Gestaltbare zu lenken. Das Positive-Leadership-Modell (PERMA-Lead) von Martin Seligman zeigt gut auf: gezielt geförderte positive Emotionen, Sinnhaftigkeit und Beziehungsqualität können die Resilienz in Veränderungsprozessen stärken.

      4. Musterwandel anstoßen – statt Symptome zu bekämpfen
      Viele Change-Initiativen scheitern, weil sie an der Oberfläche bleiben. Wer echten Wandel will, muss auf der Muster-Ebene ansetzen:

      Welche informellen Regeln bestimmen das tägliche Handeln? 

      Welche unausgesprochenen Erwartungen verhindern neue Lösungen? 

      5. Teams als Hebel für Wandel nutzen
      Veränderung entsteht dort, wo sie täglich gelebt wird – in Teams. Neue Routinen und Denkweisen können hier ausprobiert, reflektiert und stabilisiert werden. Das Prinzip des „fraktalen Arbeitens“ besagt: Man muss nicht das ganze System auf einmal verändern. Es reicht, an den richtigen Stellen Impulse zu setzen.

      Fazit: Trust the Process als systemisches Prinzip

      Change ist nicht etwas, das wir managen können. Aber wir können die Bedingungen schaffen, unter denen sich neue Muster entwickeln. 

      • Langfristiges Denken statt hektischer Aktionismus. 
      • Unsicherheit als Teil des Prozesses akzeptieren. 
      • Teams als zentrale Hebel für Veränderung begreifen. 
      • Vertrauen als Mechanismus zur Reduktion von Komplexität nutzen. 

      „Trust the Process“ bedeutet nicht, passiv zu sein. Es bedeutet, den Wandel aktiv zu begleiten – mit Geduld, Reflexion und der Bereitschaft, aus Iterationen zu lernen. Wer an der ersten Unsicherheit scheitert, hat die Veränderung nie wirklich begonnen. 

      Gründerin & CEO Campus am See & CHANGE COLLECTIVE
      Ausbilderin | Lehrcoach | Executive Coach | Change-Expertin

       

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