Mensch, Person, Rolle
Warum diese Unterscheidung für Führung, Change und Organisationsentwicklung entscheidend ist

Es gibt Sätze, die auf den ersten Blick irritieren. Einer davon ist: „Unternehmen bestehen nicht aus Menschen!“
Als ich das kürzlich in einem LinkedIn-Beitrag schrieb, war die Reaktion darauf intensiv. Die Kommentare reichten von „Natürlich bestehen Unternehmen aus Menschen!“ bis hin zu: „Das klingt provokant – aber da ist was dran.“
Und genau darum geht es: Viele von uns haben eine intuitive Vorstellung davon, was Organisationen sind und wie sie funktionieren. Doch wer mit systemischen Konzepten arbeitet, erkennt schnell, dass Organisationen ganz anders „ticken“, als wir es aus unserer Alltagswahrnehmung gewohnt sind.
Tatsächlich ist es so:
- Menschen sind psychische Systeme.
- Organisationen sind soziale Systeme.
- Rollen sind die Brücke zwischen beiden.
Diese Differenzierung ist mehr als eine theoretische Spielerei. Sie hilft uns, unsere eigene Position in Organisationen besser zu verstehen, Rollenkonflikte zu lösen und Veränderungsprozesse klarer zu gestalten. In diesem Artikel nehme ich dich mit auf eine Erkundungstour dieser Unterscheidung und zeige dir, warum sie für Führungskräfte, Change-Manager*innen und alle, die in und mit Organisationen arbeiten, essenziell ist.
Systemisch denken: Warum Unternehmen nicht aus Menschen bestehen
Der Mensch: Ein autonomes psychisches System
Menschen sind keine Bausteine von Organisationen. Sie sind psychische Systeme, die autonom denken, fühlen und handeln. In der Systemtheorie bedeutet das: Das Innenleben eines Menschen ist in sich geschlossen. Kein Chef, keine Organisation und kein Change-Projekt kann direkt in die Gedanken und Gefühle eines Menschen eingreifen.
Natürlich beeinflussen äußere Faktoren das Erleben, aber sie können es nicht steuern. Gedanken, Emotionen und Wahrnehmungen sind autopoietische Prozesse – das heißt, sie entstehen selbstreferenziell im Inneren eines Menschen. Das ist wichtig zu verstehen, denn oft gehen wir in Organisationen davon aus, dass Menschen sich „verändern“ lassen – doch das ist ein Trugschluss. Menschen lassen sich nicht einfach umprogrammieren. Sie entscheiden selbst, ob sie etwas annehmen oder nicht.
Die Organisation: Ein soziales System aus Kommunikation
Im Gegensatz dazu funktionieren Organisationen vollkommen anders. Sie sind soziale Systeme und bestehen nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation.
Was bedeutet das?
- Organisationen existieren nicht in den Köpfen der Mitarbeitenden, sondern in dem, was sie an kommunikativen Mustern erzeugen.
- Sie strukturieren sich durch Entscheidungen – und nicht durch Gedanken oder Emotionen.
- Sie „brauchen“ Menschen, aber nicht als Individuen, sondern als Rollenträger*innen.
Eine Organisation „spricht“ nicht mit Menschen – sondern mit Rollen.
Die Rolle: Die Schnittstelle zwischen Mensch und Organisation
Hier kommt die Rolle ins Spiel: Sie ist die Brücke zwischen dem autonomen psychischen System „Mensch“ und dem sozialen System „Organisation“.
- Die Rolle gehört der Organisation, nicht dem Menschen.
- Sie ist keine persönliche Eigenschaft, sondern die Summe der Erwartungen, die an eine Position geknüpft sind.
- Sie existiert unabhängig davon, wer sie ausfüllt.
Das bedeutet: Wenn du in einer Organisation eine Rolle einnimmst, agierst du nicht als „du selbst“, sondern als die Person, die diese Rolle repräsentiert.

Warum diese Unterscheidung für Führung so wichtig ist
In meiner Arbeit mit Führungskräften erlebe ich oft, dass diese Differenzierung ein Aha-Erlebnis auslöst.
Denn was passiert häufig in Organisationen?
- Menschen identifizieren sich zu stark mit ihrer Rolle.
Sie verknüpfen ihren Selbstwert mit ihrer Position – und geraten in eine Krise, wenn sie diese verlieren.
- Feedback wird persönlich genommen.
Kritik an der Führungskraft wird als Kritik an der eigenen Persönlichkeit empfunden.
- Führungskräfte versuchen, „menschlich“ zu führen – und übersehen die Rolle.
Sie wollen gemocht werden, vergessen aber, dass ihre Aufgabe in der Organisation nicht Freundschaft, sondern Führung ist.
Ein Beispiel aus der Praxis: Sandra wird Führungskraft
Stell dir vor, du bist Sandra. Du wurdest kürzlich zur Teamleitung befördert. Du freust dich darauf, deinen empathischen Führungsstil einzubringen und eine gute Atmosphäre zu schaffen. Eines Tages kommt eine Mitarbeiterin zu dir und sagt: „Sandra, als Mensch schätze ich dich sehr. Du bist warmherzig und empathisch – das mag ich. Aber als Führungskraft fehlt mir Klarheit. Mir ist oft nicht klar, wo es hingehen soll.“
Wie fühlst du dich in diesem Moment? Viele würden sich persönlich angegriffen fühlen. Doch wenn du die Differenzierung zwischen Mensch, Person und Rolle verstehst, kannst du anders darauf reagieren: Die Kritik betrifft nicht dich als Mensch, sondern deine Rolle als Führungskraft.
Und genau das ist entlastend. Denn es bedeutet:
- Dein „Menschsein“ bleibt unberührt.
- Die Erwartungen an deine Rolle sind gestaltbar.
- Du kannst dich in deiner Rolle weiterentwickeln, ohne dein Selbstwertgefühl daran zu koppeln.
Warum diese Unterscheidung auch für Change-Management essenziell ist
Ein zentraler Fehler in Veränderungsprozessen ist der Versuch, Menschen zu „verändern“. Doch systemisch betrachtet ist das nicht möglich. Organisationen können Menschen nicht verändern – sie können nur die Erwartungen an Rollen verändern. In unserer Gesellschaft erleben wir darüber hinaus immer häufiger, dass persönliche Betroffenheit Diskussionen bestimmt.
Henning Beck beschreibt es so:
„Ich kann jede Diskussion damit beenden, indem ich sage: ‚Ich fühle mich verletzt.‘ Damit steht das Gefühl gegen das Argument – und das Argument verliert.“
Das passiert auch in Organisationen:
- Menschen fühlen sich persönlich angegriffen, wenn ihre Rolle kritisiert wird.
- Führungskräfte trauen sich nicht, klare Entscheidungen zu treffen, aus Angst, jemandem zu nahe zu treten.
- Change-Prozesse scheitern, weil sie zu stark auf persönlicher Betroffenheit fokussiert sind.
Doch Change gelingt nicht, indem wir Menschen „verändern“. Er gelingt, indem wir die Erwartungen an Rollen reflektieren und anpassen.
Fazit: Wie du diese Differenzierung für dich nutzen kannst
Die Unterscheidung zwischen Mensch, Person und Rolle ist nicht nur ein theoretisches Konzept, sondern eine unglaublich praktische Denkweise, die dir in deinem beruflichen Alltag Klarheit, Entlastung und Orientierung gibt. Egal, ob du Führungskraft, Change-Manager*in oder Mitarbeitende*r bist – sie hilft dir, dich bewusster in Organisationen zu bewegen, Kritik konstruktiver zu verarbeiten und Veränderungsprozesse gezielter zu gestalten. Schauen wir uns das für die jeweiligen Rollen nun genauer an.
Für Führungskräfte: Führst du deine Rolle – oder führt sie dich?
Viele Führungskräfte stolpern über einen der folgenden Fehler:
- Sie identifizieren sich zu stark mit ihrer Rolle. Sie glauben, dass ihr Selbstwert an ihrem Führungsstil oder ihrer Position hängt – und empfinden Kritik als persönlichen Angriff.
- Sie nehmen Führung „persönlich“. Sie führen auf Basis ihrer eigenen Werte und Emotionen, statt die Erwartungen an ihre Rolle professionell auszufüllen.
- Sie vermeiden unpopuläre Entscheidungen. Um nicht als „harte“ Führungskraft zu gelten, treffen sie keine klaren Entscheidungen oder lassen sich von persönlichen Sympathien leiten.
Was kannst du tun?
- Erkenne, dass du mehr bist als deine Rolle. Dein Wert als Mensch bleibt unberührt – auch wenn du in der Rolle als Führungskraft Fehler machst oder kritisiert wirst.
- Trenne dein Selbstbild von deiner Rolle. Es ist nicht wichtig, dass du als Führungskraft „gemocht“ wirst – sondern dass du in deiner Rolle wirksam bist.
- Führe mit Klarheit. Dein Team braucht keine private Freundschaft mit dir, sondern Klarheit darüber, was du in deiner Rolle als Führungskraft von ihnen erwartest.
- Habe den Mut, deine Rolle aktiv zu gestalten. Führen heißt gestalten – und das bedeutet auch, dass du Erwartungen bewusst managen und anpassen kannst.
- Frage dich: Führe ich meine Rolle – oder führt meine Rolle mich?
Für Change-Manager*innen: Veränderst du Menschen – oder ihre Rollen?
In der Veränderungsarbeit erlebe ich oft zwei klassische Denkfehler:
- Change wird auf die „innere Haltung“ von Menschen fokussiert. Es gibt Workshops zur „Mindset-Veränderung“, aber die strukturellen Rahmenbedingungen bleiben gleich.
- Mitarbeitende werden als Widerständler*innen betrachtet. Statt sich zu fragen, ob die Erwartungen an die Rollen klar sind, wird angenommen, dass Menschen sich „verändern“ müssen.
- Doch wie wir gesehen haben: Menschen lassen sich nicht verändern – Organisationen verändern sich durch die Anpassung von Rollen und Erwartungen.
Was kannst du tun?
- Fokussiere dich auf die Rollen – nicht auf die Menschen. Wo gibt es Unklarheiten in den Erwartungen? Sind Rollenbeschreibungen widersprüchlich? Wie kann die Organisation die Erwartungen besser kommunizieren?
- Erkenne Widerstand als Rollenkonflikt. Wenn sich Mitarbeitende gegen Veränderungen sträuben, könnte es daran liegen, dass sie zwischen widersprüchlichen Rollenerwartungen stehen.
- Setze auf strukturelle Veränderungen statt auf „Mindset-Programme“. Oft genügt es, Rahmenbedingungen anzupassen, damit sich Verhalten ändert – ohne dass Menschen dazu gedrängt werden, sich „persönlich weiterzuentwickeln“.
- Sorge für Rollenklarheit in Change-Projekten. Ist klar, wer welche Rolle im Change einnimmt? Gibt es Menschen, die zwischen alten und neuen Erwartungen zerrieben werden?
- Frage dich: Veränderst du Menschen – oder schaffst du neue Rollenanforderungen?
Für Mitarbeitende: Trenne Kritik an deiner Rolle von Kritik an dir selbst
Gerade für Mitarbeitende ist diese Unterscheidung extrem entlastend. Viele identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit und empfinden jede Kritik an ihrer Leistung als Angriff auf ihre Persönlichkeit. Das führt zu Stress, Unsicherheit und manchmal sogar zu Burnout.
Ein Beispiel: Dein*e Vorgesetzte*r gibt dir das Feedback: „In deiner Rolle als Projektleiter*in wünsche ich mir von dir eine stärkere Priorisierung der Aufgaben.“ Wenn du dich als Mensch mit dieser Rolle gleichsetzt, könntest du denken: „Ich bin nicht gut genug. Ich bin eine chaotische Person.“ Doch in Wirklichkeit heißt es nur: Die Erwartungen an deine Rolle sind noch nicht erfüllt.
Was kannst du tun?
- Lerne, Kritik an der Rolle von Kritik an dir als Mensch zu trennen. Nicht du als Person wirst bewertet – sondern deine Leistung in einer spezifischen Rolle.
- Sieh Rollenkritik als Wachstumschance. Sie ist eine Einladung, besser zu verstehen, was in der Organisation erwartet wird.
- Erkenne, dass du mehr bist als deine berufliche Rolle. Dein Selbstwert hängt nicht von deiner Arbeit ab – du bist als Mensch viel mehr als das.
- Gib deiner Führungskraft gezieltes Feedback. Auch sie hat eine Rolle – wenn du merkst, dass die Rollenerwartungen unklar sind, sprich es an.
- Frage dich: Nehme ich Feedback an meine Rolle zu persönlich?
Die 3 Kernbotschaften für deine Arbeit in Organisationen
- Führungskräfte sollten ihre Rolle aktiv gestalten und nicht mit ihrem Selbstwert verknüpfen.
- Change-Manage*:innen sollten auf strukturelle Veränderungen setzen, statt Menschen „ändern“ zu wollen.
- Mitarbeitende sollten lernen, Kritik an der Rolle nicht als persönliche Abwertung zu empfinden.
Unsere Change-Management-Ausbildung hilft dir, diese Prinzipien zu verinnerlichen und zu lernen, wie du sie gekonnt in der Praxis anwendest. Mehr Infos findest du hier: https://campus-am-see.de/change-ausbildung/

Gründerin & CEO Campus am See & CHANGE COLLECTIVE
Ausbilderin | Lehrcoach | Executive Coach | Change-Expertin