Veränderung

von | 20/06/2022 | Impulse & Tool-Tipps

Veränderungen sind Rudeltiere 

Schon Heraklit sagte »Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung«.

Wachstum und Weiterentwicklung erfordern unabdingbar auch Veränderung. Ein lebendes System ist ohne stetige Bewegung und Veränderung nicht überlebensfähig. Probleme entstehen allerdings erst dann, wenn es eine Diskrepanz zwischen dem erlebten Ist-Zustand und dem angestrebten Soll-Zustand gibt. Wenn wir also z.B. gestresst sind (Ist-Zustand) und lieber nicht gestresst wären, (Soll-Zustand) werden wir den Stress als Problem wahrnehmen, als einen Zustand, den wir verändern wollen.

Nehmen wir unser gestresst sein (Ist-Zustand) allerdings z.B. als produktiv wahr, weil wir Stress als Schubkraft für unsere Leistungsfähigkeit im aktuellen Projekt sehen, ist alles in Ordnung – es wird kein anderer Soll-Zustand angestrebt, eine Veränderung ist nicht nötig. Wird aber systemintern entschieden, dass eine Veränderung nötig ist, kommen spannende Prozesse in Gang. Dabei ist es meist dann sogar schon so, dass wir unser System auf die Veränderungsgewinne ausrichten und damit direkt weitere Veränderungen mit ins Auge fassen.

Gehasst und Geliebt

Die menschliche Einstellung zur Veränderung ist oft ambivalent: »Ich freue mich auf etwas Neues!« und »Ich habe Angst vor dem Ungewissen!« teilen sich oftmals gleichzeitig gedanklichen und emotionalen Raum. Wir bewegen uns daher im Coaching entlang des Spannungsfeldes von »Bewahren was ist« und »Verändern was ist«. Im Coaching bietet es sich auf Grund dieses Wissens an, das wovon die Klienten »weg wollen«, zumindest einen Moment lang, nochmals genauer zu betrachten. Haben Klienten also einen starken Drang nach Veränderung, (weg vom aktuellen Zustand) dann könnten wir z.B. fragen »Bei dem sehr verständlichen Wunsch nach Veränderung – was von dem, was jetzt ist, soll auf jeden Fall auch nach einer Veränderung behalten werden?« oder »Angenommen, es gäbe Gewinne aus dem Hier und Jetzt auch in die Zukunft nach der Veränderung zu retten – welche wären das?«.

Wenn Klienten ihren Fokus wiederum hauptsächlich auf das was ist richten, also am liebsten die Pause-Taste zum Bewahren drücken möchten, können wir als Coach nach Möglichkeiten und Gewinnen fragen, die in einer potenziellen Veränderung liegen können. Z.B. im Sinne von »Ich habe verstanden, du möchtest gerne den aktuellen Zustand beibehalten und damit besser umgehen können. Einfach damit wir nichts übersehen: Welche zusätzlichen Gewinne könnte denn eine Veränderung mit sich bringen?«. Mit unseren derart gestalteten Fokussierungsangeboten laden wir Klienten ein, die Dynamik ihres Suchprozesses (Fokus auf Bewahren vs. Fokus auf Veränderung) bewusster zu gestalten. Vielleicht gibt es da ja noch Informationen, die wichtig sind.

Generell gilt daher für Veränderung: Um etwas zu verändern, sollten sowohl die Vorteile des Nicht-Veränderns (= Bewahren), als auch die Nachteile des Veränderns bewusst sein – denn: Auch die Lösung eines ungeliebten Problems hat ihren Preis.

 

Auf und Ab im Veränderungsprozess

Angelehnt an das Modell zur Trauerforschung von Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (mit den fünf Phasen Leugnen/Denial, Zorn/Anger, Verhandeln/Bargaining, Depression und Leid/Depression and Grief, Annahme/Acceptance) hat sich im Kontext von Veränderung das Modell der »Change Kurve« mit sieben Phasen durchgesetzt. Diverse Autoren bilden diese Phasen gerne ein wenig unterschiedlich ab, wobei sie prinzipiell im Kern übereinstimmen.

Die Phasen im Überblick:

  1. Schock – Angst, Schock, Starre und Konfusion prägen das Erleben, Ablehnung von Verantwortung
  2. Verneinung – Leugnen und nicht wahrhaben wollen im Sinne von »Das kann und darf nicht sein!«, Wut, Kampf um Kontrolle, Ablehnung von Verantwortung
  3. Rationale Einsicht – Ernüchterung, Versuch zu Feilschen im Sinne von »Ja, aber…«, Anerkennen der eigenen Verantwortung und Kompetenz im Veränderungsprozess
  4. Trauer und nachfolgende emotionale Akzeptanz – Gefühl in »ein Loch zu fallen«, Pausieren, Rückzug und Traurigkeit und für den weiteren Verlauf fundamental wichtige emotionale Akzeptanz ob des nun erkannten Verlustes und der dazugehörigen Emotion(en)
  5. Ausprobieren – Herantasten und Ausprobieren von Alternativen via »Trial and Error«, Skepsis, erste Neugierde, konkretes Auseinandersetzen mit anstehenden Anforderungen und Aufgaben
  6. Erkenntnis – Freude, Motivation, Erleichterung und Selbstsicherheit durch die Erkenntnis »Das klappt, das ist mein neuer Weg!« und die aktive Arbeit an der Veränderung und Selbstkompetenz
  7. Integration – Das »Neue« wird Teil vom »Normalen«, der Alltag wird erweitert, Ruhe und Stabilität kehren ein – bis zur nächsten Veränderung…

Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich wirkt, die Verarbeitung vom Tod eines geliebten Menschen mit einer Veränderung zu vergleichen, werden die Ähnlichkeiten zwischen beiden Prozessen auf den zweiten Blick deutlich: Tiefgreifende Veränderung hat immer auch mit dem Loslassen des Bekannten und Bewährten zu tun und damit auch immer mit einer Form des Trauerns, um das, was nun nicht mehr ist. Unabhängig von der Art des Verlustes, also egal ob z.B. menschlich, materiell oder beruflich, ist der Prozess der Verarbeitung bei uns allen nahezu identisch.

Jede Entscheidung für eine Veränderung, ist immer auch eine Entscheidung gegen einen aktuellen Zustand

Ist eine Veränderung von außen induziert, z.B. durch die Kündigung seitens des Arbeitgebers, stirbt der alte Arbeitsplatz. Wir stehen erst mal unter Schock, wollen das nicht wahrhaben, müssen trotzdem irgendwann einsehen, dass es jetzt so ist, wir trauern um unseren alten Job mit den zugehörigen Menschen und Chancen, bis wir uns irgendwann nach einer neuen Herausforderung umschauen. Auch bei selbstinduzierten Veränderungen, also z.B., wenn wir selbst kündigen, werden die genannten Phasen durchlaufen.

Jede Entscheidung für eine Veränderung, ist immer auch eine Entscheidung gegen einen aktuellen Zustand. Diesen Verlust betrauern wir in genau denselben Phasen, wenn auch vielleicht in anderer Intensität. Denn auch wenn wir im Normalfall jede Phase der Change-Kurve durchlaufen, kann die Ausprägung – abhängig vom jeweiligen Menschen und Kontext – ganz verschieden sein: Womöglich stehen wir tagelang unter Schock, sind wie erstarrt, wollen und können nicht handeln. Dafür verbringen wir mit nicht wahrhaben wollen und der darauffolgenden Erkenntnis vielleicht nur einen Moment – wir denken also z.B. »Das kann doch nicht sein, aber es ist wohl jetzt so.« – und sitzen bildlich gesprochen schon im nächsten Loch, bevor es wieder bergauf geht. Die Verweildauer in den jeweiligen Phasen ist also maximal individuell.

Jede Veränderungsphase, die Klienten gerade durchlaufen, ist für sie dabei im erlebten Moment Wahrheit und Realität. Das Erleben der Klienten gilt es zu aller Zeit, egal in welcher Phase, mit all unserer Empathie uneingeschränkt zu respektieren und ernst zu nehmen.

 

Über dümmliche Fossilien der Therapiegeschichte

In diesem Kontext drängen sich allerdings auch die Worte von Gunther Schmidt förmlich auf: »Der noch immer weit verbreitete Mythos in Beratung und Therapie, dass KlientInnen einfach genügend Leidensdruck bräuchten, damit sie zu Veränderungen kommen, stellt aus meiner Sicht eine der dümmlichsten Fossilien der Therapiegeschichte dar. Zwar kann es sein, dass man mit erhöhtem Leidensdruck eine stärkere Bereitschaft zur Veränderung entwickelt. Die erlebte Fähigkeit zur Veränderung wird dabei aber immer geringer, da man sich als immer schwächer, enger, unfähiger erlebt, je mehr der Leidensdruck steigt. Die erlebte Fähigkeit, und gerade dadurch auch fast immer die Motivation für Veränderung, wird wesentlich stärker und konstruktiver, wenn man sich voller Kraft, Zuversicht und Neugier erfährt. Wie gerade die Flowforschung zeigt, erlahmt dann keineswegs der Wunsch nach Entwicklung. Ganz im Gegenteil verstärken sich gerade dann die Motivation für neue Herausforderungen und die Bereitschaft zu veränderndem Verhalten, wenn man sich in einem erfüllenden mit Kompetenzerleben einhergehenden Erlebnisprozess bewegt.« (Schmidt, Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung, 2005 / 2018) S.98).

Das heißt, Veränderung wird möglich, wenn wir Zugang zu unseren Kompetenzen haben, wenn wir uns in unserer Kraft fühlen und fähig zur Handlung. Übertragen auf unsere Change-Kurve bedeutet das: Wenn der unerwünschte Zustand rational und emotional akzeptiert wurde (also im Übergang von Phase 4 zu Phase 5), werden tiefgreifende Veränderungen wieder wahrscheinlicher. Wer sich sicher fühlt, kann den Säbelzahntiger auch mal aus den Augen lassen, um sich umzuschauen. In diesen Zeiten können wir Klienten z.B. fragen, was sie brauchen, um ihr Problem aus einer sicheren Beobachterposition betrachten zu können. Eine Position, in der sie sich nicht vom Problem bedroht fühlen, wo sie sich voll in ihrer Kraft fühlen und Zugang zu ihren Kompetenzen haben. Wo ein Durchatmen und Überlegen möglich ist.

Ab Phase 5 sind Klienten dann in der Regel bereit für den aktiven Weg Richtung Neues, Richtung Veränderung, mit all seinen Herausforderungen und Gewinnen. Wenn wir nicht mehr gegen das ankämpfen (müssen) was da ist, können wir für das kämpfen, was wir erreichen wollen. (Annäherungs-)Ziele rücken wieder mehr in den Fokus, Motivation und Antrieb für Veränderung können (wieder) beginnen zu wachsen.

 

Veränderung muss sich lohnen

Bei aller Motivation, bei allem Willen nach Veränderung: Auch wenn Bewusstes und Unbewusstes Hand in Hand arbeiten, alle Gewinne aus dem aktuellen Lösungsversuch des Systems (also dem Problem) eingesammelt wurden und das ganze System im Chor und aus voller Überzeugung schallt »Ja, ich will die Veränderung! Ja, ja, ja!«, heißt es noch nicht in allen Fällen, dass die so gewünschte Veränderung auch umgesetzt wird. Das kann beispielsweise an der Liebe zu alten Gewohnheiten liegen, mangelnden praktischen Fähigkeiten (Schreiner scheint der perfekte Beruf – aber eine Säge halten klappt noch nicht) oder der sehr menschlichen und oft unterschwelligen Angst vor dem Ungewissen. Veränderung kommt nämlich selten allein, sie bringt in aller Regel ihre besten Freunde »Widerstände« und »Ungewissheit« mit.

Ungewissheit ist in der Arbeit mit selbstreferentiellen und autonom agierenden Systemen an der Tagesordnung. Modelle, Vorstellungen und Wissen sind unaussprechbar wertvoll. Gleichzeitig wissen wir um unser Nichtwissen und die unvorhersehbaren Überraschungen, die unser Gegenüber auspacken kann. Daher gilt es, sich bestmöglich vorzubereiten, Neugierde zu bewahren und für Überraschungen offen zu sein. Widerstände, z.B. das Zurückfallen in ein altes Muster, wo wir doch das Neue ausprobieren wollten, deuten wir gerne mal als Beweise für Unfähigkeit – unsere eigene oder die des neuen Musters. Dabei sind Widerstände während eines Veränderungsprozesses nicht nur völlig normal, sondern sogar ein gutes Zeichen. Sie sind nicht per se Blockaden »Gegen das Neue« sondern manchmal einfach fest verankerte (weil gut gelernte) Mahnmale »für das Alte«.

 

Widerstände sind immer auch Fürstände

Aufkommende Widerstände haben also auch nicht per se etwas mit mangelnden Möglichkeiten oder nicht vorhandenen Fähigkeiten zu tun. Ein aus obigem Beispiel entstehender Schluss »Ich kann das einfach nicht durchalten. Konnte ich ja noch nie…« oder »Wenn mein Mann hier wohnt und Schokolade bunkert, kann ich mein Ziel eh vergessen.« wäre also pauschal zu kurzgefasst. Natürlich kann es sein, dass die Fähigkeit »durchzuhalten« trainiert und ausgebaut werden sollte, um das Ziel zu erreichen. Vielleicht klappt »durchhalten« auch ganz großartig, aber eben nicht von heute auf morgen in Extremsituationen.

Manchmal haben die gewohnten Muster einfach einen Wettbewerbsvorteil: Sie sind nicht nur hervorragend gelernt und geliebt (von Teilen des Systems), sondern im jeweiligen Kontext potentiell auch sehr gut geprimed. Das heißt, diverse auslösende Reize (externe Umgebungsreize wie z.B. Möbelstücke, die Anwesenheit bestimmter Personen, spezielle Räumlichkeiten genauso wie interne Reize z.B. das, was wir an unserem Gegenüber wahrnehmen, eigene Verhaltensimpulse in Form von Gefühlen, Gedanken, Körperreaktionen usw.) dienen als Startknopf für ein bestimmtes Verhaltensmuster, das wir eigentlich verändern wollen.

 

Gewinn und Preis von Veränderung

Im Coaching geht es darum, in Veränderungskontexten Wahlfreiheit zu schaffen, im Sinne von »Möchte ich dem Impuls 3 Tafeln Schokolade auf einmal zu essen folgen, oder nicht? Und wenn nicht: Was tue ich stattdessen?«. Damit entstehen neue Reiz-Reaktionsketten, die Veränderungen deutlich wahrscheinlicher machen. Der biologische Reflex, eine Veränderung auf ihre Stimmigkeit hin zu prüfen, sich zu versichern »Braucht’s das wirklich oder kann ich nicht ganz energieeffizient bei meinem alten Verhalten bleiben?!« ist also ganz sicher nicht unser Feind. Wir dürfen uns mit ihm anfreunden, in dem Wissen um seine guten Absichten. Im Coaching und auch außerhalb.

Und wie oben bereits ausgeführt, sollte unser Fokus im Veränderungs-Coaching immer auf beiden Seiten liegen: Um etwas zu verändern, sollten sowohl die Vorteile des Nicht-Veränderns (= Bewahren), als auch die Nachteile des Veränderns bewusst sein – denn: Auch die Lösung eines ungeliebten Problems hat ihren Preis und diesen Preis muss ich bereit sein zu zahlen, um in dem Genuss der vollen Gewinne der angestrebten Veränderung zu kommen.

In diesem Sinne: lasst uns in unseren Systemen Gutes tun!

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