Widerstände sind Fürstände
Widerstände sind Fürstände
Wie wir in der Koproduktion mit unseren Klienten die guten Absichten hinter Widerständen aufspüren
Im Fachjargon spricht die Coaching-Welt immer wieder davon, dass wir uns bei der Arbeit als Coach auf der Prozessebene bewegen, die Klienten auf der Inhaltsebene. Das kann schnell mal verwirrend sein. Darum möchten wir dir hier ein Bild mitgeben, welches verdeutlichen soll, was damit gemeint ist.
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Thomas Webers bezeichnet in seinem Buch „Systemisches Coaching – Psychologische Grundlagen“ Coaching als „Koproduktion zwischen Coach und Klient“. Dieses Bild benutzen wir, um den Unterschied zwischen Prozess und Inhalt klarer fassen zu können: Klienten kommen zu uns mit dem von ihnen selbst geschriebenen Drehbuch zu einem Film, den sie tagtäglich als Hauptdarsteller erleben. Sie kennen die Regeln ihrer Welt, wissen über Abläufe und Anforderungen Bescheid und wissen vor allem selbst am besten, wie ihr Film weitergehen soll. Sie gestalten ihr Leben, agieren an verschiedenen Schauplätzen und erleben damit auch ihre Probleme auf ihre ganz eigene Art und Weise (die sogenannte Inhaltsebene).
Der Coach betreut vom „Regiestuhl“ aus die Prozessebene
Als Coach sind wir Regisseure bzw. Beobachter hinter der Kamera. Wir achten darauf, wie sich Klienten in ihrem Film bewegen, wir beobachten ihre Sicht auf sich selbst und die Welt mit all den Regeln, die für sie in ihrer jeweiligen Wirklichkeit gelten. Welche Szenen erleben sie als problematisch und vor allem, wie schaffen sie es, diese unerwünschten Szenen immer wieder zu kreieren? Wir werfen also aus der Metaperspektive einen Blick aufs Drehbuch – wir haben das große Ganze im Blick und konzentrieren uns z.B. auf Muster, die unsere Hauptdarsteller gerade nicht sehen können. Da wir das Drehbuch nie auch nur im Ansatz so genau kennen werden wie die Autoren, stellen wir z.B. Fragen, die darauf abzielen, wie möglicherweise etwas anders gemacht werden könnte, um zu einem alternativen Verlauf zu kommen – und wie dieser idealerweise aussieht. Wir sitzen sozusagen als Koproduzenten im Regiestuhl und betreuen die Prozessebene.
Wertschätzung und ein ehrliches „Sehen“ der Klienten in ihrem Problemerleben sind dabei Grundpfeiler der gemeinsamen Koproduktion. Es ist nicht unser Film, aber wir haben das große Privileg und von den Drehbuchautoren bzw. Hauptdarstellern die Erlaubnis, einen exklusiven Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen. Coaching wird so zur Beratung ohne Ratschlag, es findet lediglich Prozessberatung statt: Als Coach schlagen wir – fachlich kompetente, ressourcenaktivierende, lösungsorientierte und von den Grundhaltungen (dazu an anderer Stelle mehr) getragene – Methodiken vor, wie wir den gemeinsamen Prozess auf dem Weg zum Ziel gestalten könnten. Wir erarbeiten gemeinsam mit den Klienten neue, für sie passende, Szenen. Mit diesem Bild wird vielleicht auch deutlich, dass Klienten hundertprozentig bereit sein müssen, ihren eigenen Anteil an der Koproduktion zu leisten, denn ohne Drehbuch und Hauptdarsteller bringt die beste Regie- bzw. Führungsleistung nichts.
Widerstände sind IMMER Fürstände und weisen auf Bedürfnisse hin, die berücksichtigt werden sollen
Im Kontext von Veränderung stoßen wir allerdings sehr häufig auf (innere und äußere) Widerstände. Diese sind nicht zwangsläufig Feinde der Veränderung, oft sind sie schlicht die besten Freunde des aktuellen Zustandes. Im Coaching gilt es daher, wahrzunehmende Widerstände unserer Klienten ernst zu nehmen und sie als Kompetenz wertzuschätzen. Sind Klienten z.B. mit unserem Vorgehen in der Sitzung nicht einverstanden und es zeigen sich Widerstände (z.B. in Form von „Das möchte ich nicht verändern…“) spricht das nicht nur für die Kompetenz unserer Klienten, zu wissen was gut für sie ist, sondern auch noch für die Fähigkeit, dies ausdrücklich zu kommunizieren. Wir dürfen Widerstände immer als wichtige Rückmeldungen für uns als Coach und für die gemeinsame Koproduktion werten. Widerstände sind IMMER Fürstände und weisen sehr oft auf Bedürfnisse hin, die berücksichtigt und unbedingt wertgeschätzt werden sollen.
Denn alles, was ein Mensch tut, tut er aus (mindestens) einem guten Grund. Alles Handeln macht Sinn für den (freiwillig) handelnden Menschen, in dem Augenblick, in dem er handelt. Das eigene System verfolgt mit jeder individuellen Wahrnehmung, Entscheidung, Handlung und Bewertung immer eine nützliche Absicht – sei es auch „nur“ die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des eigenen emotionalen Gleichgewichts. Als Coach verstehen wir jede Handlung unserer Klienten als eine Kompetenz, da jedes Verhalten in einer bestimmten Situation einen bestimmten Sinn hat. Damit tut ein Mensch, alles was er tut, immer aus (mindestens) einem guten Grund, einer guten Absicht, für die er – manchmal mittels Widerstand – einsteht.
Ein „Problem“ ist selten nur problematisch
Als Coaches setzen wir mit all unseren Vorgehensweisen den Fokus auf Lösungen, die Aktivierung von Ressourcen und eine Blickwinkelveränderung oder -erweiterung für unsere Klienten und ihr eigenes Erleben. Ergänzend dazu ist natürlich wichtig, dass Coaching nur und ausschließlich dann wirken kann, wenn Freiwilligkeit und Veränderungsmotivation vorhanden sind. Wer sich nicht verändern möchte, hat für die Nicht-Veränderung ebenfalls immer (mindestens) einen guten Grund. Diesen gilt es uneingeschränkt wertzuschätzen, auch wenn wir ihn vielleicht nicht sehen oder verstehen.
Denn: Ein „Problem“ ist selten nur problematisch – in aller Regel wird damit eine (unbewusste) positive Absicht, z.B. das Sichern eines Bedürfnisses, für das System verfolgt. Wir unterscheiden also zwischen dem (Problem-)Verhalten und der zu Grunde liegenden Absicht und somit auch zwischen Handlung und Handelndem (der Begriff „Widerständler“ kann für einen systemisch denkenden Menschen daher eigentlich nicht mehr Bestandteil des aktiven Denk- und Wortschatzes sein…). Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch von Grund auf gut ist und jede seiner Handlungen von einer positiven Absicht geleitet wird. Manchmal erweist sich das gezeigte Verhalten für die dahinterstehende Absicht allerdings als nicht (mehr) förderlich. Eine Strategie, die als Kind z.B. zieldienlich war, ist es im Erwachsenenalter vielleicht nicht mehr. Oder um es mit Zitat von Johann Wolfgang von Goethe zu sagen: „Ein Problem zu lösen heißt, sich vom Problem zu lösen.“ Manche Klienten möchten das aber vielleicht aus (unbewussten) guten Gründen gar nicht (vollständig) – diese Gründe und Gewinne für, bzw. durch das Problem (Fürstände), gilt es dann für tragfähige Lösungen unbedingt zu berücksichtigen.
Wir möchten euch als Coaches und coachende Führungskräfte – „The Leader as Coach“ – davon mehr im nächsten Newsletter (Link zur Anmeldung) deshalb ermutigen, immer zuerst nach den Fürständen im Widerstand zu schauen, bevor ein gemeinsamer Veränderungsweg in der Koproduktion beschritten werden kann.
In diesem Sinne – lasst uns gemeinsam in unseren Systemen Gutes tun!
#Matchmaker for inspirational connections
#Multiplier for systemic change
#Master for Being
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